Gryps besucht innovative KMU – Teil 5: «KMU-Denken» reicht heute nicht mehr – das zeigt das Beispiel von quitt
Eigentlich wollte David Christen ein «Ebay für Dienstleistungen» aufziehen. Heute ist seine Firma Schweizer Marktführerin für das Anstellen von Haushaltshilfen. Im Interview erzählt er, wie alles kam.
Verfasst von Cheyenne Spycher
«Wir investieren viel in unser Produkt und in die Benutzerfreundlichkeit.» Mit quitt und quitt Business wird das Anstellen von Haushaltshilfen einfacher. (Bild: iStock)
Fair Employment – das ist die Vision der ServiceHunter AG. Das KMU hat sich darauf spezialisiert, das Anstellen von Haushaltshilfen und sonstigem Personal so einfach und so gerecht wie möglich zu machen. Über seine Website können Privatpersonen und – ganz frisch seit diesem Jahr – Start-ups sich und ihre Arbeitskräfte registrieren. Die Anwendungen quitt und quitt Business erstellen danach einen digitalen Arbeitsvertrag, schliessen die nötigen Versicherungen ab und kümmern sich um die Lohnabrechnung.
Dass das Konzept überzeugt, zeigt nicht nur der erfolgreiche Start ins B2B-Geschäft: Seit diesem Jahr bietet das Schweizer Unternehmen seine Dienstleistungen auch in Deutschland an. Wie hat es die Firma geschafft, vom Start-up zum erfolgreichen KMU zu werden? Wie ist man innovativ und bleibt es auch? Ein Gespräch mit Co-Gründer David Christen und Andres Roost, Head of Marketing und Sales.
Unsere Serie heisst: «Gryps besucht innovative KMU». Wie definieren Sie «Innovation»?
David Christen: Ein innovatives KMU sehe ich als Start-up, das sich kontinuierlich weiterentwickelt und Mitarbeitende hat, die dieses Mindset mitbringen.
Man braucht den Start-up-Modus, um innovativ zu sein?
David Christen: KMU-Denken ist nicht falsch – aber wenn ein Unternehmen davon ausgeht, dass man dasselbe macht wie letztes Jahr, weil es gut funktioniert hat, dann ist das kein Start-up-Denken. Früher war das viel einfacher: Man hat zum Beispiel ein Telefon hergestellt und dann 25 Jahre lang dasselbe Modell verkauft. Das geht heute nicht mehr. Ein Start-up will wachsen und Dinge anders machen als in den Jahren zuvor – und das ist bei uns sicherlich der Fall.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Andres Roost: Dieses Jahr haben wir quitt in Deutschland lanciert. Mit unserem Produkt zählen wir dort schon rund 65 Kundinnen und Kunden. Gleichzeitig haben wir in der Schweiz unsere Anwendung, die über zehn Jahre hinweg entwickelt wurde, auf Start-ups adaptiert und erschliessen so einen neuen Markt. Es läuft viel bei uns und die Expansion in weitere Länder ist geplant – langweilig wird es uns nicht.
Wieso gerade Deutschland?
David Christen: Ich habe mich immer gefragt, weshalb so viele Firmen als Erstes nach Deutschland gehen. Jetzt weiss ich wieso: wegen der geografischen, der kulturellen und der sprachlichen Nähe. Ausserdem haben wir herausgefunden, dass es in Deutschland quasi unmöglich ist, eine Anstellung selbst abzurechnen, wenn der Lohn über einer gewissen Limite liegt. Man muss zu einem Steuerberater gehen. Und Steuerberater machen diese Arbeit nicht so gerne, weil sie dann für einzelne Personen individuell abrechnen müssen. Da schreit der Markt nach einem Produkt wie dem unseren.
Wer expandieren kann, ist erfolgreich. Was machen Sie anders als die Konkurrenz?
Andres Roost: Wir investieren viel in unser Produkt und in die Benutzerfreundlichkeit. Zudem können private Arbeitgebende den Lohn, den sie der Haushaltshilfe zahlen wollen, selbst bestimmen. Wir erheben eine kleine Gebühr, aber der Kunde weiss, dass die Reinigungshilfe tatsächlich, sagen wir, 30 Franken pro Stunde erhält. Bei einem Institut zahlt man oft einen höheren Betrag und weiss nicht, wie viel die Reinigungshilfe effektiv als Lohn erhält.
quitt spricht ja nicht nur Privatkundinnen und Privatkunden an, sondern auch Unternehmen …
Andres Roost: Ja, das stimmt. Möchte ein Start-up Mitarbeitende einstellen, kann es sich von einem Treuhänder oder einer Treuhänderin helfen lassen. Diese Lösung ist super, aber sie bedeutet auch, dass man viel telefonieren und hin und her schreiben muss. Wir bieten dieselbe Dienstleistung an, aber per App und 100 Prozent digital. Spezialfälle – etwa eine Arbeitskraft, die ins Militär muss – können mit einem Knopfdruck erfasst werden und wir übernehmen den Rest. That’s it. Keine Telefonate, keine E-Mails.
Wie kam es zur Gründung?
David Christen: Ursprünglich wollten wir ein Ebay für Dienstleistungen anbieten. Die Idee dahinter: Wer zum Beispiel seinen Rasen mähen lassen will, kann den Job bei uns ausschreiben und Interessierte melden sich. Diese Arbeitsverhältnisse müssen aber auch irgendwie legalisiert werden. Deshalb wollten wir eigentlich ein Ebay für Dienstleistungen mit automatisierter Legalisierung anbieten.
Und das hat nicht funktioniert?
David Christen: Wir wurden darauf hingewiesen, dass das zwei unterschiedliche Geschäftsfelder sind und es schwierig ist, einen Marktplatz zu vermarkten. Deshalb fokussierten wir schlussendlich nur auf die Legalisierung – und das war sicherlich die richtige Strategie. Bis heute hat es noch niemand geschafft, ein Ebay für Dienstleistungen zu entwickeln.
Was war das wichtigste unternehmerische Learning aus der Anfangsphase?
David Christen: Da fallen mir gleich zwei Zitate ein. Das Erste ist von Dave Morin: «My best entrepreneurial advice is to start» – man solle einfach starten. Mittlerweile haben wir alle Prozesse automatisiert und sie sind skalierbar. Uns gibt es aber auch schon seit gut zehn Jahren. Hätten wir damals darauf bestanden, zuerst das perfekte Produkt zu entwickeln, hätten wir vermutlich noch hundert Jahre mit dem Launch warten müssen.
Und das zweite Zitat?
David Christen: «If you’re not embarrassed by the first version of your product, you’ve launched too late.» Auf Deutsch : «Wenn du dich nicht für die erste Version deines Produkts schämst, hast du zu spät gelauncht.»
Was raten Sie Jungunternehmerinnen und Jungunternehmern?
David Christen: Habt Spass! Das ist das Wichtigste. Und es ist sinnvoll, schrittweise einzusteigen und nicht direkt Vollzeit zu starten. Vor allem, wenn man sich bereits ein Einkommen gewöhnt ist. Das kann sonst sehr stressig werden. Ich war Student, deshalb machte mir das Leben mit wenig Geld nichts aus.
Wieso ist es besser, Teilzeit einzusteigen?
David Christen: Startet man Teilzeit, bekommt man ein Gespür dafür, ob die Arbeit einem gefällt oder nicht und ob daraus wirklich etwas werden könnte. Irgendwann kommt dann aber der Zeitpunkt, da man den Wechsel in Vollzeit wagen und es wirklich durchziehen muss. Die Erfolgreichen sind häufig diejenigen, die drangeblieben sind – auch in schwierigen Zeiten.
Neue Serie: Gryps besucht innovative Schweizer KMU
Das ist der fünfte Teil der neuen Artikelserie von Gryps. Wir besuchen verschiedene KMU, um ihr Erfolgsmodell zu verstehen. Wie hat sich das Unternehmen neu erfunden? Was ist der Business Case? Was sind Chancen und Risiken?
▶ Das war Teil 1: Die Serviceroboter von Arabesque
▶ Das war Teil 2: Das VR-Heimkino von IntelliHOME
▶ Das war Teil 3: «Zum richtigen Zeitpunkt den falschen Gedanken – das ist Innovation»
▶ Das war Teil 4: Wie Kaisin mit Poké Bowls die Gastronomie aufmischt
Nächste Woche porträtieren wir die innovative Modemarke Nikin.
Soll auch Ihr KMU porträtiert werden? Dann schreiben Sie uns!Welche Herausforderungen werden häufig unterschätzt?
David Christen: Zahlende Kunden zu finden. Ein Start-up scheitert selten, weil es ein bestimmtes Feature noch nicht entwickelt hat, sondern es scheitert, weil es zu wenig Kundinnen und Kunden hat. Als Start-up ist es wichtig, dass man möglichst schnell mit dem Produkt auf den Markt geht und es validieren lässt. Gibt es ein Bedürfnis, löst sich alles andere.
Wie hat quitt diese Kundschaft gefunden?
David Christen: Hauptsächlich über Google. 2010 war Google-Werbung noch nicht der Standard. Es wurde mehr auf Print-Werbung, Radio und TV gesetzt. Das war super, weil wir so einen Vorteil in organischer Google-Optimierung, also SEO, und bezahlter Google-Werbung, SEA, hatten. Heute kommen mehr als die Hälfte der Kundinnen und Kunden durch Weiterempfehlung. Das ist schön zu sehen. Es zeigt, dass das Produkt beliebt ist, und macht natürlich auch das Marketing günstiger.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie für die ServiceHunter AG in den nächsten fünf Jahren?
David Christen: Wichtig ist, dass uns immer mehr Menschen kennenlernen und unser Produkt nutzen. Längerfristig wird das meiste Wachstum vermutlich durch Weiterempfehlung kommen. Ich glaube, dass quitt Business für diejenigen, die es bereits nutzen, ein No-Brainer ist.
International prüfen wir weitere Länder, in denen die Administration mühsam ist – was eigentlich überall der Fall ist (lacht). Und wir prüfen Länder, in denen die Menschen ihre Haushaltshilfen fair anstellen wollen, unabhängig davon, was im Gesetz steht.
- Gegründet: 2010
- Mitgründer und CMO: David Christen
- Head of Marketing/Sales Schweiz: Andres Roost
- Mitarbeitende: 40
- Website: quitt.ch
Die ServiceHunter AG übernimmt mit quitt in der Schweiz und in Deutschland die korrekte Anstellung von Arbeitskräften für Privatpersonen. Mit quitt Business werden Start-ups und Neugründungen in der Schweiz in der korrekten Anstellung ihrer Mitarbeitenden unterstützt. Die Firma hat ihren Hauptsitz in Zürich und betreibt zwei weitere Büros in München und Jerewan.
Die Porträtbilder wurden von der ServiceHunter AG zur Verfügung gestellt.