Hochprozentig: BILANZ-Briefing vom 10. Januar 2025
Jede Woche kommentiert BILANZ-Chefredaktor Dirk Schütz das aktuelle Wirtschaftsgeschehen – schlagfertig, klug und überraschend. Sie lesen seine Kolumne jetzt auch jede Woche bei Gryps.
Verfasst von Dirk Schütz, Chefredaktor der BILANZ
Die Themen dieser Woche: Dry January / Trumps Zollwahn / Vorbild Milei / Partners-Group-Signal.
Angesichts der sich abzeichnenden Schwere des Jahrgangs 2025 wollen wir mit einer leichten Note einsteigen. Die erste diesjährige Vor-Ort-Inspektion eines italienischen Edel-Restaurants im Paradeplatz-Revier fiel ernüchternd aus: 90 Prozent weniger Alkohol sei in den ersten Arbeitstagen ausgeschenkt worden als im gleichen Zeitraum des Vormonats, und auch deutlich weniger als im Januar 2024, vertraute uns ein Service-Veteran an. Entweder war der Kater nach den Festtagen dieses Mal besonders gross, was durchaus verständlich wäre. Oder: Die immer stärker werdende Null-Prozent-Front dreht weiter auf. Fakt ist: Wir erleben einen Dry January on steroids.
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In Irland sollen alkoholische Getränke im nächsten Jahr mit speziellen Vermerken versehen werden: Alkohol schadet der Gesundheit. Die Financial Times, im Herzen Londons mit durchaus trinkfesten Vertretern versehen, zieht schon den Vergleich zur Tabakindustrie. Die Börse nimmt den Niedergang bereits vorweg: Die wenigen Hersteller, die kotiert sind, brachen im letzten Jahr heftig ein – Diageo, Pernod, Remy Cointreau. In den USA, so meldet eine Gallup Umfrage, ist der Anteil der 18- bis 34-Jährigen, die noch nie Alkohol getrunken haben, in den letzten beiden Jahrzehnten von 28 auf 38 Prozent gestiegen. Der scheidende Gesundheitsminister begann das Neue Jahr gleich mit der Forderung, jedes alkoholische Getränk sollte mit einer Krebswarnung versehen werden.
Stellt sich nur schon nach der ersten Woche die Frage: Lässt sich das Jahr ohne Hochprozentiges überstehen?
Magnet Trump
Wir erleben in diesen ersten Tagen den Beleg für die Wirksamkeit des ersten Grundgesetzes der Anthropologie: Macht lenkt die Menschheit. Global richtet sich das Magnetfeld auf den Comeback-Mann im Weissen Haus aus: Facebook knickt ein, Woke-Vormann Trudeau kapituliert, Cheerleader Musk schiesst gegen Deutschland und England statt gegen Russland und China, und wir beschäftigen uns intensiv mit der Topografie Grönlands, wobei der deutsche Noch-Kanzler so verzweifelt ist, dass er Profilierungschancen sieht, Trump zu widersprechen, wo Schweigen das einzige Richtige wäre.
So wiederholen die biederen Berufspolitiker – und leider auch viele Kommentatoren - aus dem so korrekten Europa den Fehler aus der ersten Trump-Amtszeit: Sie nehmen ihn wörtlich – obwohl für ihn vor allem eines gilt: Das gesprochene Wort ist praktisch nichts mehr wert. Das geben selbst seine Bewunderer zu – man müsse ihn an den Taten messen, nicht an den Worten, lautet die gängige Entschuldigung für sein moralfreies Verhältnis zur Wahrheit. Und da stimmen seine Instinkte, in der Tat: Tiefe Steuern, Deregulierung, Bürokratieabbau. Wenn da bloss nicht dieser Zollwahn wäre.
Kettensäge für Zölle
Und damit wären wir bei Javier Milei. Als der Kettensägen-Mann vor einem Jahr zum WEF in die Schweiz kam, wurde er noch belächelt. Jetzt holt sich Argentiniens Präsident nach dem WEF bei einer Ehrung in Kloten den Röpke-Preis des Liberalen Instituts ab, des selbst ernannten ältesten Think Tanks der Schweiz, der mit dem Preis dem Ökonomen Wilhelm Röpke gedenkt. Begründung: Mileis «internationale Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des ausufernden Staates».
Wie schnell er vom Gaga-Präsidenten zum globalen Vorbild aufgestiegen ist, zeigt sich auch am grossen Interesse in der Schweiz: Der Stadtsaal in Kloten war rasant schnell ausverkauft, obwohl die Tickets in der Spitze 249 Franken kosten. Mileis Videos, bei denen er einzelne Ministerien an der Wandtafel ausradiert («afuera»), sind Kult. Dass die argentinische Radikalität auch für entwickeltere Länder gilt, darf zwar bezweifelt werden. Aber der Überdruss über zu viel Staatsgewalt ist weit verbreitet und in vielen Ländern berechtigt, teilweise auch in der Schweiz. Da taugt Milei als perfekte Projektionsfläche. Und er ist Trump in ökonomischer Erkenntnistheorie einen Schritt voraus: Die hohen und inflationsfördernden Zölle, mit denen sich Argentinien abgeschottet hat, schafft er gerade reihenweise ab. Afuera: Raus damit.
Nächste Woche: Aktiensignale
Das Aktienjahr kommt langsam in Fahrt, der Start war hierzulande ordentlich - die UBS knackte erstmals seit der CS-Übernahme die 30-Franken-Marke, und nächsten Dienstag erwarten die ZKB-Analysten einen positiven Ausblick des Private-Equity-Haus Partners Group. Signale für eine Auflösung des Exit-Staus bei den Beteiligungen wären hochwillkommen.
Nur das Nestlé-Drama geht weiter: Jefferies stufte die Aktie von 75 auf 67 Franken ab, die BNP hielt mit Kursziel 89 Franken dagegen. Hahnenkämpfe bei der Nestlé-Exegese mit Prognoseschwankungen von fast 30 Prozent: Es wird ein wildes Börsenjahr.
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