Swissmem-Präsident im Interview: «Die Credit Suisse war und ist ein professioneller und zuverlässiger Partner, insbesondere für KMU»
Das Drama um die Credit Suisse hat den Schweizer Wirtschaftsplatz in seinen Grundfesten erschüttert. Martin Hirzel, der oberste Industrievertreter des Landes, erklärt im Interview mit Gryps, wie er die Ursachen und die Folgen einschätzt.
Verfasst von Reto Stauffacher
«Ich verspüre grosses Bedauern über das Scheitern der Credit Suisse.» – Martin Hirzel, Präsident von Swissmem. (Bild: iStockPhoto)
Am Ende musste es schnell gehen: Am Sonntagabend stand fest, dass die UBS die Credit Suisse für drei Milliarden Franken – und damit weit unter Marktwert – übernimmt. Weil immer mehr Kunden ihr Geld abgezogen hatten, verloren die Märkte das Vertrauen in die Schweizer Grossbank. Sie konnte nicht mehr selbstständig überleben.
Für die Schweiz können in den nächsten Jahren zusätzliche Kosten von bis zu 209 Milliarden Franken anfallen:
- Die Nationalbank sichert der Credit Suisse und der UBS eine ausserordentliche Liquiditätshilfe von jeweils 50 Milliarden Franken zu. Schon letzte Woche hatte die Credit Suisse von der Nationalbank einen Kredit von 50 Milliarden Franken erhalten.
- Falls diese «ausserordentlichen» Liquiditätshilfen nicht ausreichen, kommt das «Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie» des Bundes zum Zug. Maximal werden so Garantien in der Höhe von nochmals 100 Milliarden Franken gewährt.
- Der Bund gewährt der UBS eine «Versicherung» in der Höhe von 9 Milliarden Franken für den Fall, dass aus der Übernahme der Credit Suisse auf gewissen Vermögenswerten grosse Verluste resultieren.
Ob und welche dieser Beträge effektiv ausgezahlt werden müssen, ist noch offen – die Absicherung war offenbar nötig, damit die UBS den Deal überhaupt eingeht. Denn es ist unklar, welche Risiken innerhalb der Credit Suisse noch schlummern. Besonders lukrativ bleibt hingegen das Schweiz-Geschäft der Credit Suisse: Mehr als 40 Prozent des Umsatzes generierte die Bank bis zuletzt in ihrem Heimatland.
Ende 2023 wissen wir mehr
Immerhin ist die Zürcher Traditionsbank nun vorerst gerettet. Die UBS übernimmt sämtliche Verpflichtungen und Risiken der Credit Suisse. Das heisst: Verträge mit Kunden, Partnern und Sponsoren laufen wie gewohnt weiter. Das sind so weit beruhigende Nachrichten. Allerdings dürfte es bis Ende 2023 dauern, bis die Integration bei der UBS abgeschlossen ist. Erst dann wird sich zeigen, ob die Marke Credit Suisse überhaupt weiter existiert und welche Folgen die Übernahme für die rund 17’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Schweiz (und die mehr als 50’000 weltweit) konkret hat. Nicht zu vergessen, die mehr als 23’000 Beschäftigten der UBS in der Schweiz sowie deren 74’000 weltweit.
Besonders betroffen von den Entwicklungen rund um die Schweizer Grossbanken sind auch die KMU in der Schweiz. Als Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie vertritt Swissmem mehr als 325’000 Arbeitsplätze. Das Scheitern der Credit Suisse führe zu einem grossen Reputationsverlust für das Land, sagt Swissmem-Präsident Martin Hirzel. Er gibt zu bedenken: «Nicht jede Bank ist in der Lage, den Leistungsumfang der Credit Suisse abzudecken.» Das Interview wurde schriftlich geführt.
Ohne Zahlungsverkehr und Kredite geht gar nichts mehr
Herr Hirzel, was sind Ihre persönlichen Gedanken zum Verkauf der Credit Suisse? Gab es keine Alternative?
Alternativen gibt es immer. Ob diese besser gewesen wären, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Details nicht kenne. Positiv am gewählten Vorgehen war, dass alle Unternehmen am Tag nach der Ankündigung der Übernahme der Credit Suisse normal weiterarbeiten konnten. Der Zugriff auf Kreditlimiten und der Zahlungsverkehr haben funktioniert. Positiv ist auch, dass eine Lösung gefunden wurde, die das Potenzial hat, den Finanzplatz zu stabilisieren. Negativ ist, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Das Scheitern der Credit Suisse führt zu einem grossen Reputationsverlust für die Schweiz.
Spürten und spüren Sie eine grosse Unsicherheit bei Ihren Mitgliedern? Wie nehmen Sie die Stimmung bei den KMU wahr?
Nein. Ich verspüre keine Unsicherheit, aber grosses Bedauern über das Scheitern der Credit Suisse.
Was wären die Auswirkungen für den Schweizer Wirtschaftsplatz gewesen, wenn es bis Sonntagabend (noch) keine Lösung für die Credit Suisse gegeben hätte?
Es bestand die Gefahr eines Kollapses der internationalen Finanzmärkte, was zu einem temporären Stillstand der Geschäftstätigkeiten hätte führen können. Ohne Zahlungsverkehr und Kredite geht nichts mehr. Ob es ohne diese Lösung tatsächlich so weit gekommen wäre, ist reine Spekulation.
Die von Swissmem vertretene Industrie umfasst mehr als 325’000 Jobs in der Schweiz, ist damit grösser als der Finanzplatz und pflegt eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Grossbanken. Was bedeutet das Verschwinden der Credit Suisse nun konkret für Ihre Mitglieder?
Die Unternehmen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie verwandte Technologiebranchen brauchen Banken für Kreditlimiten, den Zahlungsverkehr, Kapitalmarktfinanzierungen und Fremdwährungsabsicherungen. Bisher hat der Wettbewerb zwischen den Banken gut funktioniert. Nun fällt ein grosser Mitbewerber weg. Für die Firmen führt das zu einem Mehraufwand. Ähnlich wie bei Lieferantenbeziehungen braucht es auch im Verkehr mit den Banken eine gewisse Diversifizierung. Unternehmen, die hauptsächlich mit der Credit Suisse und der UBS gearbeitet haben, müssen jetzt aktiv werden und geeignete Alternativen suchen.
Martin Hirzel, Präsident von Swissmem
Wie bedeutend war die Rolle der Credit Suisse?
Die Credit Suisse war und ist ein professioneller und zuverlässiger Partner, insbesondere für KMU. Zudem ist sie eine wertvolle Akteurin in der Exportfinanzierung. Das ist eine wichtige Dienstleistung für die stark exportorientierte Tech-Industrie, welche die UBS bisher weniger gepflegt hat.
Bei SRF sagten Sie, dass zwei solche Grossbanken ein Riesenprivileg gewesen seien. Weshalb? Was waren die Vorteile dieses Systems?
Die Kunden hatten eine valable Alternative. Natürlich werden nun andere Geschäftsbanken versuchen, Marktanteile zu gewinnen. Aber nicht jede Bank ist in der Lage, den Leistungsumfang der Credit Suisse abzudecken. Sicherlich werden vermehrt ausländische Banken um Kunden buhlen. Grosse Industrieunternehmen sind es bereits heute gewohnt, mit ausländischen Banken zusammenzuarbeiten. Für KMU ist dies eher Neuland. Vom Stil und von der Kultur der Zusammenarbeit könnte es für KMU schwieriger werden.
Was sind nun die grössten Gefahren und Unsicherheiten für KMU?
Die Ausrichtung der neuen Grossbank ist heute noch völlig unbekannt. Unklar ist auch, wie sich die Konditionen für die Bankdienstleistungen ändern werden. Weniger Konkurrenz führt in der Regel nicht zu besseren und kostengünstigeren Leistungen.
Viele KMU dürften sowohl bei der Credit Suisse als auch bei der UBS Kredite oder Konti haben. Was raten Sie den KMU? Abwarten oder aktiv werden?
Ich werde mich hüten, Ratschläge zu geben. Die Unternehmen kennen ihr Geschäft und ihre Bedürfnisse. Sie werden die jeweils geeignete Lösung finden.
Zur Person: Seit Anfang 2021 präsidiert Martin Hirzel den Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Er ist zudem Mitglied des Verwaltungsrats von Bucher Industries, der Dätwyler Holding und von drei privat gehaltenen KMU.
Nach ersten Erfahrungen bei IBM Schweiz und einem Studium der Betriebswirtschaft an der ZHAW zog es ihn ins Ausland. Für den Rieter-Konzern baute er ab dem Jahr 2000 von Schanghai aus das Textilmaschinen-Geschäft in China auf und führte ab 2005 das Auto-Zuliefergeschäft. 2007 wechselte er nach Brasilien, von wo aus er die Autosparte in Lateinamerika, im Nahen Osten und in Afrika leitete. 2011 kehrte er in die Schweiz zurück, um als CEO bis 2019 die an die Börse gebrachte Autoneum zu leiten. (Bild: Swissmem)
Quellen:
- Schweizer Radio und Fernsehen SRF vom 20. März 2023: ECO Talk Spezial mit Martin Hirzel
- NZZ Neue Zürcher Zeitung vom 20. März 2023: Die 209-Milliarden-Wette – wie riskant ist die CS-Rettung für die Schweizer Steuerzahler?
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