Letztes Jahr gab es so viele Konkurse wie noch nie: Was läuft schief in der Schweizer KMU-Wirtschaft?

Noch nie sind in der Schweiz so viele Firmen in Konkurs gegangen wie 2022. Raoul Egeli, Präsident des Verbandes Creditreform, analysiert im Interview mit Gryps die Gründe für diese Entwicklung und sagt: «Ich bin der tiefen Überzeugung, dass sich die Unternehmen selbst helfen müssen und es nicht ausreicht, auf die Hilfe Staates zu hoffen.»

«Häufig wird in KMU das Liquiditätsmanagement vernachlässigt.» – Raoul Egeli, Präsident des Verbandes Creditreform. (Bild: zvg)

Herr Egeli, wie steht es um die Zahlungsmoral in der Schweiz? Sehen Sie einen Trend?

Leider nicht allzu rosig. Lieferkettenprobleme, Energiekosten und steigende Zinsen machen allen Firmen zu schaffen. Das führt auf lange Sicht zu mehr Konkursen. Diese bilden aber nur die Spitze des Eisberges. Viel gravierender ist die Summe der Forderungsverluste aus allen Rechnungen, die nicht bezahlt worden sind, von denen viele gar nicht betrieben worden sind, weil es sich für die Gläubiger aus Kostengründen schlicht nicht rechnet. Wer will schon gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen. 

2022 sind in der Schweiz so viele Firmen wie noch nie Konkurs gegangen. Mit 10'126 wurde erstmals die Schwelle von 10'000 Pleiten in einem Jahr überschritten. Was sind die wichtigsten Gründe dafür?

Während der Covid-Krise hat der Staat vielen Unternehmen finanziell unter die Arme gegriffen. Darunter befanden sich leider auch Firmen, die schon damals Konkurs gewesen wären. Dieses Schicksal ereilt sie nun mangels eines ausreichenden Geschäftsmodells, zumal die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen alles andere als einfach zu bewerkstelligen sind. Enthalten sind aber auch 3‘330 Konkurse wegen Mangel in der Organisation nach Artikel 731b des Obligationenrechts.

Mangel in der Organisation, was bedeutet das?

Diese Konkurse werden eröffnet, wenn gesetzlich obligatorische Organe wie eine Revisionsstelle oder ein Verwaltungsrat fehlen. So kommt es zu missbräuchlichen Konkursen, wenn Unternehmen verwaisen, weil der Verwaltungsrat sich aus dem Staub macht, um sich der Verantwortung zu entziehen. Creditreform unterstützt Gläubiger, solche Umstände zu erkennen, bevor es zu weiteren Schäden kommt.

Wie geht der Gesetzgeber damit um? Wie lässt sich das verhindern?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass sich die Unternehmen selbst helfen müssen und es nicht ausreicht, auf die Hilfe des Staates zu hoffen. Denn die Mühlen der Justiz mahlen zu langsam. Die Lösung ist einfach: mit einer Bonitätsauskunft von Creditreform lässt sich unter anderem erkennen, ob die im Unternehmen involvierten Personen bereits Konkurse zu verantworten hatten. Kommt es zu Unregelmässigkeiten wie dem Einsetzen eines sogenannten Konkursreiters, wird man unverzüglich informiert und kann die Kreditlimite anpassen oder einen Lieferstopp verfügen. 

Was hat es mit diesen Konkursreitern auf sich?

Verantwortungslose Unternehmer stehlen sich, nachdem sie einen Haufen Schulden produziert haben, aus der Verantwortung, in dem sie aus der konkursreifen Firma ausscheiden und stattdessen für Geld, das sie unter der Hand zahlen, einen Bestatter einsetzen, der das Unternehmen so lange weiter führt, bis ein Gläubiger das Konkursbegehren stellt. Zu holen gibt es dabei nichts mehr. Ganz im Gegenteil: Die „Bestatter“, wie sie in der Branche genannt werden, verdienen sich selbst noch eine goldene Nase mit Lieferungen, die sie nie bezahlen, nur um sie weiter zu verkaufen. Diese Personen sitzen meist schon auf einem Berg von Verlustscheinen. Sie haben schlicht nichts mehr zu verlieren. 

«Ein Blick in die Konkursstatistik und unsere eigenen Auswertungen zu den missbräuchlichen Konkursen zeigt, dass die Konkurse anhalten werden.»Raoul Egeli, Präsident von Creditreform

Welche Massnahmen können KMU bzw. Gläubiger selbst ergreifen, um sich vor missbräuchlichen Konkursen zu schützen?

Dies ist einfach. Je nach Geschäftsvolumen stellen wir passende Bonitätsauskünfte zur Verfügung. Damit lässt sich das Geschäft initial prüfen. Dank unseren Monitoringprodukten lassen sich aber auch die Bestandeskunden auf Bonitätsveränderungen hin überwachen. Dazu gehört auch der Einsitz von Personen, die viele Konkurse zu verantworten haben. 

An wen können sich Unternehmerinnen und Unternehmer mit finanziellen Problemen wenden?

Häufig wird das Liquiditätsmanagement vernachlässigt. Es gilt sicherzustellen, dass ausreichend Mittel vorhanden sind, um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Dazu gehört integral die Debitorenverwaltung. Neben der Bonitätsprüfung gilt es, die Forderungen bei ausstehender Zahlung auch einzutreiben. Wer das zu wenig konsequent macht, kann gerade in schwierigen Zeiten ein bis zwei Prozent an Umsatzvolumen abschreiben. Wir unterstützen Unternehmen bei der Geltendmachung von Forderungen – zur Sicherung von deren Liquidität. 

Was ist Ihre Prognose für 2023: Hält die Negativtendenz bei den Konkursen an?

Ein Blick in die Konkursstatistik und unsere eigenen Auswertungen zu den missbräuchlichen Konkursen zeigt, dass die Konkurse anhalten werden. Es sieht nicht danach aus, dass sich daran rasch etwas ändert. Es gilt, die beiden wichtigsten Punkte jedes unternehmerischen Handelns mehr denn je zu berücksichtigen. Kenne deinen Kunden! Und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Zur Person: Raoul Egeli, geboren 1968, ist seit 2008 Präsident des Schweizerischen Verbandes Creditreform und seit 2014 Präsident von Creditreform International. Zudem ist er Geschäftsführer der Creditreform Egeli Gesellschaften in Basel, Bern, Lugano, St. Gallen und Zürich. 2009 bis 2013 war er auch Zentralpräsident von TREUHAND| SUISSE. Er ist Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Inkasso Suisse und Mitglied der Gewerbekammer des SGV. Raoul Egeli studierte an der Fachhochschule für Wirtschaft in St. Gallen und ist Autor mehrerer Fachbücher.

Über Creditreform: Der Schweizerische Gläubigerverband Creditreform wurde 1888 gegründet und versteht sich als Selbstschutzorganisation in den Diensten der Mitglieder und Kunden. Der gegenseitige Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern und die Vernetzung der sieben selbständigen Kreisbüros mit internationalen Partnern liess Creditreform zum führenden genossenschaftlichen Verbund für Wirtschafts- und Bonitätsauskünfte sowie Inkasso-Dienstleistungen werden. Creditreform beschäftigt rund 150 Mitarbeitende in der Schweiz und 4350 weltweit.

www.creditreform.ch

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