Gryps besucht innovative KMU – Teil 1: Wie Service­roboter den Personal­mangel auf­fangen und für gute Stimmung sorgen

Sind Serviceroboter die Lösung für den Fach­kräfte­mangel in Pflege, Detail­handel, Logis­tik und Gastro­nomie? «Es ist höchste Zeit, dass KMU umdenken», sagt Sylvia Stocker, Gründerin von Arabesque. Ein Besuch in ihrem Büro in Zürich.


Sie sind frech, ehrlich, erfrischend, wie ein Kind: Die Serviceroboter von Arabesque sollen die Menschen entlasten. (Bild: Linda Pollari)

«Hallo, wie heisst du?», fragt mich eine Roboter­stimme. – «Reto.» – «Das ist aber ein schöner Name!» – Nun ja, er lügt, denke ich. Ein paar Sätze später meint Pepper, so der Name des Roboters: «Du siehst heute wirk­lich schön aus, du hast eine super Frisur!» – «Danke, du auch», ent­gegne ich ziemlich un­beholfen. Gelächter im Raum.

Die Bigotterie sei Pepper ver­ziehen, er ist süss und schlag­fertig, und in seiner Funktion als Marketing­roboter von Arabesque brilliert er. Ich befinde mich in einem Büro im Zürcher Seefeld-Quartier und treffe Sylvia Stocker, die Gründerin von Arabesque. Ich will heraus­finden, wie Service­roboter funktio­nieren und wo sie bereits ange­wendet werden können.

Neue Serie: Gryps besucht innova­tive Schweizer KMUDas ist der erste Teil einer neuen Artikel­serie von Gryps. In den nächsten Wochen besuchen wir ver­schie­dene KMU, um ihr Erfolgs­modell zu ver­stehen. Wie hat sich das Unter­nehmen neu erfunden? Was ist der Business Case? Was sind Chancen und Risiken? Die Artikel er­scheinen jeweils am Donnerstag.

▶ Nächste Woche porträtieren wir die IntelliHOME AG aus Baar: Das ist eines der ersten KMU in der Schweiz, das erfolg­reich eine Virtual-Reality-Anwendung nutzt.

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In der Industrie kommen Roboter schon seit Jahr­zehnten zum Ein­satz. Sie sorgen für eine enorme Effi­zienz­steigerung und ent­lasten die Menschen, die fortan körperlich weniger an­strengende Ar­beiten über­nehmen und sich anderen, anspruchs­volleren Tätig­keiten zuwenden können.

Demgegenüber sind Service­roboter eine eher neue Techno­logie, die aber ebenso das Poten­zial hat, unseren All­tag und ver­schie­dene Branchen zu revolutio­nieren. Diese intelli­genten Maschinen wurden ent­wickelt, um mono­tone Auf­gaben zu über­nehmen und Dienst­leis­tungen in einer Viel­zahl von Umgebungen anzu­bieten.

Sie ersetzen Menschen nicht eins zu eins

«Es sind vor allem die ein­fachen und repeti­tiven Auf­gaben, die Service­roboter den Menschen im Dienst­leis­tungs­sektor ab­nehmen können», erklärt mir Sylvia Stocker bei einer Tasse Kaffee. Sie denkt bei­spiels­weise an das Gesund­heits­wesen, wo Roboter in Krankenhäusern ein­gesetzt werden, um Patienten zu betreuen, Medika­mente auszu­liefern oder Auf­gaben wie die Des­infektion von Räumen zu über­nehmen. In der Hotellerie helfen sie den Gästen mit dem Gepäck oder über­nehmen den Zimmer­service, in der Logis­tik werden sie unter anderem dafür ein­gesetzt, Waren zu transpor­tieren und zu stapeln.

«Serviceroboter ersetzen Menschen nicht eins zu eins», sagt Stocker, «sie unter­stützen und ent­lasten. Ziel ist es, Prozesse zu auto­mati­sieren. Das hat zur Folge, dass die Ange­stellten nicht mehr mit den immer gleichen Auf­gaben beschäftigt sind, sondern sich auf das konzen­trieren können, was wirklich wichtig ist.» Sie nennt ein weiteres An­wendungs­beispiel: In einem Restaurant kann ein Roboter die Gäste empfangen, sie an ihre Tische führen und später das Essen bringen und die Teller wieder ab­holen. Die Ange­stellten übernehmen die kreativen, mensch­lichen, indivi­duellen Aufgaben.

«Es kommt immer häufiger vor, dass uns KMU-Verantwort­liche an­rufen und von akutem Personal­mangel erzählen.»Sylvia Stocker, Gründerin von Arabesque

Entscheidend sei, sagt Stocker, wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine gestaltet werde: «Wir setzen auf einen fröh­lichen, positiven, ja über­raschenden Dialog. Im besten Fall folgt dieser einer Drama­turgie.» Camilla Hofmann, Project Manager bei Arabesque, ergänzt: «Wir sehen immer wieder, dass die Menschen über­raschend schnell eine Beziehung auf­bauen.» Dies, weil Roboter anders kommuni­zieren würden als Menschen: «Sie sind frech, ehr­lich, erfrischend, wie ein Kind.»

Im Video: Pepper, der Marketing-Roboter von Arabesque, ist schlagfertig und charmant zugleich.

Doch auch die Funktionalität von Robotern hat ihre Grenzen: Ein Roboter braucht bei­spiels­weise Struktur und klare An­weisungen: «Eine Begrüssung ist immer eine Begrüssung, einen Teller von der Küche an einen Tisch zu bringen, ist eben­falls immer der­selbe Ablauf», sagt Stocker.

Plakativ gesagt kann ein Roboter nur das, was pro­grammiert wurde. Aus­serdem kommt der Service­roboter mit Stufen und Witterung nicht zurecht: Pepper und seine Kollegen sollten des­halb nicht auf einer Restaurant­terrasse ein­gesetzt werden, vor allem nicht, wenn es regnet oder stürmt.

Lieber ein Roboter als gar kein Personal?

Meistens werden die Service­roboter von Arabesque für eine gewisse Zeit ver­mietet, einige Firmen nutzen sie auch nur über­gangs­weise als Marketing-Attraktion. «Es kommt aber immer häufiger vor, dass uns KMU-Ver­antwort­liche anrufen, von akutem Personal­mangel erzählen und Hilfe suchen», erzählt Stocker.

Der Fachkräftemangel kann mit Robotern ein Stück weit auf­gefangen werden, weil das wenige vor­handene Per­sonal so ent­lastet wird. «Viele KMU trauen sich noch nicht, sich mit dieser Techno­logie aus­einander­zusetzen. Die Vor­behalte sind schon spürbar. Da schaut es in Deutsch­land, Holland und Belgien anders aus, diese Länder sind fort­ge­schrittener in der Auto­mati­sierung mit Servicerobotern.»


Sylvia Stocker sagt: «Wir werden uns auch in der Schweiz daran gewöhnen müssen, dass uns Roboter im Alltag begegnen.» (Bild: Linda Pollari)

Kundenanfragen lassen sich aktuell in drei Kate­gorien ein­teilen, erklärt mir Stocker: «Erstens gibt es die­jenigen, die das Gefühl haben, etwas zu ver­passen. Diese Kunden wollen wissen, was mit der Techno­logie möglich sein könnte.» Dieses Fear-of-Missing-Out-Syndrom, kurz «FOMO», kommt bei techno­logischen Neuerungen immer wieder zum Zug: Es beschreibt die Angst der Menschen, einen Hype zu verpassen.

«Zweitens geht es häufig um eine konkrete strate­gische Weiter­ent­wicklung», so Stocker. «Dabei handelt es sich um Kunden, die bereits wissen, wie Service­roboter funktio­nieren, und einen konkreten An­wendungs­fall im Kopf haben.» Und drittens gebe es Kunden, die einfach Wissen auf­bauen möchten: «Für diese Art von Inte­ressenten haben wir unsere Academy gegründet: um Wissen zu trans­ferieren und das Ver­ständnis für die Techno­logie zu fördern.»

Ist der externe Schock stark genug?

In der Fachliteratur der Wirtschafts­wissen­schaften ist immer wieder davon die Rede, dass sich neue Techno­logien und Arbeits­modelle erst nach einem externen Schock in der Gesell­schaft eta­blieren: Die Corona­pandemie bei­spiels­weise hat dem Home­office zum Durch­bruch ver­holfen, der Krieg in der Ukraine sorgte für ein Um­denken bei der Energie­ver­sorgung. Ist es nun der Fach­kräfte­mangel, der die Robotik ankurbelt?

Erste Anzeichen gibt es bereits: Stocker berichtet, dass die Nach­frage seit einigen Monaten zunehme. Eine Studie der Inter­national Federation of Robotics (IFR) prognos­tiziert, dass der Robotik-Markt in den nächsten Jahren um das Vier- bis Sieben­fache wachsen wird. «Es ist höchste Zeit, dass KMU umdenken und sich dieser Techno­logie öffnen», sagt Stocker.

Sobald in der Marktverbreitung eine gewisse Schwelle erreicht ist, wird ein Produkt zum Selbst­läufer: Je grösser die Nach­frage, desto mehr und bessere Modelle gibt es, was wiederum die Nach­frage ankurbelt. Stocker ist überzeugt: «Wir werden uns auch in der Schweiz daran gewöhnen müssen, dass uns Roboter im All­tag begegnen.»

Nehmen uns Roboter die Arbeit weg?

Mit der zunehmenden Verbreitung stellen sich auch ethische Fragen: Nehmen die Roboter den Menschen die Jobs weg? Ersetzen sie uns? Sie bringen tat­sächlich einige Vor­züge mit: Sie sind günstiger als Menschen, effi­zienter, machen keine Fehler, sind nie müde und nie krank.

Sylvia Stocker, ganz die Innovatorin, sieht keine Gefahren, sondern aus­schliess­lich Chancen: «Wenn Service­roboter den mono­tonen Teil unserer Arbeit über­nehmen, haben wir mehr Zeit für andere, spannende Dinge. Die Ange­stellten haben mehr Zeit, um sich weiterzu­bilden, mehr Zeit, um spannende Jobs anzu­nehmen, und ebnen sich damit den Weg, um mehr ver­dienen und besser leben zu können.»

«Keine Firma stellt 50 Roboter ein und ent­lässt 50 Menschen. Das wäre ja sinnlos.»Sylvia Stocker, Gründerin von Arabesque

Die Geschichte habe wiederholt gezeigt, dass techno­lo­gischer Fort­schritt nicht dazu führe, dass massen­haft Menschen arbeits­los würden, sondern dass massen­haft neue Jobs ent­stünden: «Keine Firma stellt 50 Roboter ein und ent­lässt 50 Menschen. Das wäre ja sinnlos …»

Doch länger darüber sprechen mag sie nicht, viel lieber schaut sie in die Zukunft: «Schon bald folgt die dritte Genera­tion von Robotern», schwärmt sie. «Es wird eine Ver­schmelzung sein zwischen Industrie- und Service­robotern.» Diese werden nicht nur Teller von A nach B bringen, sondern auch Gegen­stände greifen und bei­spiels­weise ganze Tische decken können. «Aber das dauert noch fünf bis zehn Jahre, mindestens.»

    Über Arabesque
    • Gegründet: 1999
    • Gründerin und CEO: Sylvia Stocker
    • Mitarbeitende: 7 (+ 3 im Advisory Board)
    • Website: arabesque.ch
    Arabesque steht für menschenzentrierte Robotik, KI und Prozessoptimierung. Ihr Ansatz orientiert sich am Bedürfnis des Menschen nach Erlebnissen, die begeistern, inspirieren und glücklich machen.
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