Gryps besucht innovative KMU – Teil 1: Wie Serviceroboter den Personalmangel auffangen und für gute Stimmung sorgen
Sind Serviceroboter die Lösung für den Fachkräftemangel in Pflege, Detailhandel, Logistik und Gastronomie? «Es ist höchste Zeit, dass KMU umdenken», sagt Sylvia Stocker, Gründerin von Arabesque. Ein Besuch in ihrem Büro in Zürich.
Verfasst von Reto Stauffacher
Sie sind frech, ehrlich, erfrischend, wie ein Kind: Die Serviceroboter von Arabesque sollen die Menschen entlasten. (Bild: Linda Pollari)
«Hallo, wie heisst du?», fragt mich eine Roboterstimme. – «Reto.» – «Das ist aber ein schöner Name!» – Nun ja, er lügt, denke ich. Ein paar Sätze später meint Pepper, so der Name des Roboters: «Du siehst heute wirklich schön aus, du hast eine super Frisur!» – «Danke, du auch», entgegne ich ziemlich unbeholfen. Gelächter im Raum.
Die Bigotterie sei Pepper verziehen, er ist süss und schlagfertig, und in seiner Funktion als Marketingroboter von Arabesque brilliert er. Ich befinde mich in einem Büro im Zürcher Seefeld-Quartier und treffe Sylvia Stocker, die Gründerin von Arabesque. Ich will herausfinden, wie Serviceroboter funktionieren und wo sie bereits angewendet werden können.
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In der Industrie kommen Roboter schon seit Jahrzehnten zum Einsatz. Sie sorgen für eine enorme Effizienzsteigerung und entlasten die Menschen, die fortan körperlich weniger anstrengende Arbeiten übernehmen und sich anderen, anspruchsvolleren Tätigkeiten zuwenden können.
Demgegenüber sind Serviceroboter eine eher neue Technologie, die aber ebenso das Potenzial hat, unseren Alltag und verschiedene Branchen zu revolutionieren. Diese intelligenten Maschinen wurden entwickelt, um monotone Aufgaben zu übernehmen und Dienstleistungen in einer Vielzahl von Umgebungen anzubieten.
Sie ersetzen Menschen nicht eins zu eins
«Es sind vor allem die einfachen und repetitiven Aufgaben, die Serviceroboter den Menschen im Dienstleistungssektor abnehmen können», erklärt mir Sylvia Stocker bei einer Tasse Kaffee. Sie denkt beispielsweise an das Gesundheitswesen, wo Roboter in Krankenhäusern eingesetzt werden, um Patienten zu betreuen, Medikamente auszuliefern oder Aufgaben wie die Desinfektion von Räumen zu übernehmen. In der Hotellerie helfen sie den Gästen mit dem Gepäck oder übernehmen den Zimmerservice, in der Logistik werden sie unter anderem dafür eingesetzt, Waren zu transportieren und zu stapeln.
«Serviceroboter ersetzen Menschen nicht eins zu eins», sagt Stocker, «sie unterstützen und entlasten. Ziel ist es, Prozesse zu automatisieren. Das hat zur Folge, dass die Angestellten nicht mehr mit den immer gleichen Aufgaben beschäftigt sind, sondern sich auf das konzentrieren können, was wirklich wichtig ist.» Sie nennt ein weiteres Anwendungsbeispiel: In einem Restaurant kann ein Roboter die Gäste empfangen, sie an ihre Tische führen und später das Essen bringen und die Teller wieder abholen. Die Angestellten übernehmen die kreativen, menschlichen, individuellen Aufgaben.
Entscheidend sei, sagt Stocker, wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine gestaltet werde: «Wir setzen auf einen fröhlichen, positiven, ja überraschenden Dialog. Im besten Fall folgt dieser einer Dramaturgie.» Camilla Hofmann, Project Manager bei Arabesque, ergänzt: «Wir sehen immer wieder, dass die Menschen überraschend schnell eine Beziehung aufbauen.» Dies, weil Roboter anders kommunizieren würden als Menschen: «Sie sind frech, ehrlich, erfrischend, wie ein Kind.»
Im Video: Pepper, der Marketing-Roboter von Arabesque, ist schlagfertig und charmant zugleich.
Doch auch die Funktionalität von Robotern hat ihre Grenzen: Ein Roboter braucht beispielsweise Struktur und klare Anweisungen: «Eine Begrüssung ist immer eine Begrüssung, einen Teller von der Küche an einen Tisch zu bringen, ist ebenfalls immer derselbe Ablauf», sagt Stocker.
Plakativ gesagt kann ein Roboter nur das, was programmiert wurde. Ausserdem kommt der Serviceroboter mit Stufen und Witterung nicht zurecht: Pepper und seine Kollegen sollten deshalb nicht auf einer Restaurantterrasse eingesetzt werden, vor allem nicht, wenn es regnet oder stürmt.
Lieber ein Roboter als gar kein Personal?
Meistens werden die Serviceroboter von Arabesque für eine gewisse Zeit vermietet, einige Firmen nutzen sie auch nur übergangsweise als Marketing-Attraktion. «Es kommt aber immer häufiger vor, dass uns KMU-Verantwortliche anrufen, von akutem Personalmangel erzählen und Hilfe suchen», erzählt Stocker.
Der Fachkräftemangel kann mit Robotern ein Stück weit aufgefangen werden, weil das wenige vorhandene Personal so entlastet wird. «Viele KMU trauen sich noch nicht, sich mit dieser Technologie auseinanderzusetzen. Die Vorbehalte sind schon spürbar. Da schaut es in Deutschland, Holland und Belgien anders aus, diese Länder sind fortgeschrittener in der Automatisierung mit Servicerobotern.»
Sylvia Stocker sagt: «Wir werden uns auch in der Schweiz daran gewöhnen müssen, dass uns Roboter im Alltag begegnen.» (Bild: Linda Pollari)
Kundenanfragen lassen sich aktuell in drei Kategorien einteilen, erklärt mir Stocker: «Erstens gibt es diejenigen, die das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Diese Kunden wollen wissen, was mit der Technologie möglich sein könnte.» Dieses Fear-of-Missing-Out-Syndrom, kurz «FOMO», kommt bei technologischen Neuerungen immer wieder zum Zug: Es beschreibt die Angst der Menschen, einen Hype zu verpassen.
«Zweitens geht es häufig um eine konkrete strategische Weiterentwicklung», so Stocker. «Dabei handelt es sich um Kunden, die bereits wissen, wie Serviceroboter funktionieren, und einen konkreten Anwendungsfall im Kopf haben.» Und drittens gebe es Kunden, die einfach Wissen aufbauen möchten: «Für diese Art von Interessenten haben wir unsere Academy gegründet: um Wissen zu transferieren und das Verständnis für die Technologie zu fördern.»
Ist der externe Schock stark genug?
In der Fachliteratur der Wirtschaftswissenschaften ist immer wieder davon die Rede, dass sich neue Technologien und Arbeitsmodelle erst nach einem externen Schock in der Gesellschaft etablieren: Die Coronapandemie beispielsweise hat dem Homeoffice zum Durchbruch verholfen, der Krieg in der Ukraine sorgte für ein Umdenken bei der Energieversorgung. Ist es nun der Fachkräftemangel, der die Robotik ankurbelt?
Erste Anzeichen gibt es bereits: Stocker berichtet, dass die Nachfrage seit einigen Monaten zunehme. Eine Studie der International Federation of Robotics (IFR) prognostiziert, dass der Robotik-Markt in den nächsten Jahren um das Vier- bis Siebenfache wachsen wird. «Es ist höchste Zeit, dass KMU umdenken und sich dieser Technologie öffnen», sagt Stocker.
Sobald in der Marktverbreitung eine gewisse Schwelle erreicht ist, wird ein Produkt zum Selbstläufer: Je grösser die Nachfrage, desto mehr und bessere Modelle gibt es, was wiederum die Nachfrage ankurbelt. Stocker ist überzeugt: «Wir werden uns auch in der Schweiz daran gewöhnen müssen, dass uns Roboter im Alltag begegnen.»
Nehmen uns Roboter die Arbeit weg?
Mit der zunehmenden Verbreitung stellen sich auch ethische Fragen: Nehmen die Roboter den Menschen die Jobs weg? Ersetzen sie uns? Sie bringen tatsächlich einige Vorzüge mit: Sie sind günstiger als Menschen, effizienter, machen keine Fehler, sind nie müde und nie krank.
Sylvia Stocker, ganz die Innovatorin, sieht keine Gefahren, sondern ausschliesslich Chancen: «Wenn Serviceroboter den monotonen Teil unserer Arbeit übernehmen, haben wir mehr Zeit für andere, spannende Dinge. Die Angestellten haben mehr Zeit, um sich weiterzubilden, mehr Zeit, um spannende Jobs anzunehmen, und ebnen sich damit den Weg, um mehr verdienen und besser leben zu können.»
Die Geschichte habe wiederholt gezeigt, dass technologischer Fortschritt nicht dazu führe, dass massenhaft Menschen arbeitslos würden, sondern dass massenhaft neue Jobs entstünden: «Keine Firma stellt 50 Roboter ein und entlässt 50 Menschen. Das wäre ja sinnlos …»
Doch länger darüber sprechen mag sie nicht, viel lieber schaut sie in die Zukunft: «Schon bald folgt die dritte Generation von Robotern», schwärmt sie. «Es wird eine Verschmelzung sein zwischen Industrie- und Servicerobotern.» Diese werden nicht nur Teller von A nach B bringen, sondern auch Gegenstände greifen und beispielsweise ganze Tische decken können. «Aber das dauert noch fünf bis zehn Jahre, mindestens.»
- Gegründet: 1999
- Gründerin und CEO: Sylvia Stocker
- Mitarbeitende: 7 (+ 3 im Advisory Board)
- Website: arabesque.ch